Versorgungswerk zählt nicht zur Sozialversicherung
Bundessozialgericht, Urteil vom 29.8.2012 – B 10 EG 15/11 R
[Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich auf die Rechtsprechung des BSG reagiert und das Gesetz zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs (BEGVVereinfG – G. v. 10.09.2012 BGBl. I S. 1878, 2013 I 69; Geltung ab 18.09.2012) verabschiedet. In § 2f BEEG ist die Behandlung von Versorgungswerkbeiträgen bei der Bemessung des Elterngeldes nunmehr ausdrücklich geregelt. § 2f Abs. 1 BEEG lautet: Als Abzüge für Sozialabgaben sind Beträge für die gesetzliche Sozialversicherung oder für eine vergleichbare Einrichtung sowie für die Arbeitsförderung zu berücksichtigen.]
Freiberufler, die an ein berufsständisches Versorgungswerk zahlen, haben Anspruch auf höheres Elterngeld
Pflichtbeiträge zu einer berufsständischen Versorgung sind keine Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung im Sinne des § 2 Abs 7 Satz 1 BEEG und werden daher bei der Bemessung des Elterngelds nicht von den Bruttoeinkünften abgesetzt.
Falsche Bemessungsgrundlage durch Beachtung berufsständischer Versorgung bei Elterngeldberechnung eines Rechtsanwalts
Ein angestellter Rechtsanwalt beantragte am 28.06.2007 beim beklagten Land Elterngeld für die ersten beiden Lebensmonate seiner am 24.05.2007 geborenen Tochter. Für den Bezug des Elterngelds reichte er von seinem Arbeitgeber erstellte Abrechnungen der Brutto-Netto-Bezüge für die Monate Mai 2006 bis April 2007 ein, die monatliche Abzüge mit dem Hinweis „RV-Beitrag“ enthielten. Der Anwalt erhielt mit Bescheid vom 28.08.2007 für den beantragten Zeitraum Elterngeld in Höhe von monatlich 1626,94 Euro. Dabei ging dieser von einem Gesamtjahreseinkommen von 47 124 Euro und Gesamtabzügen von 17 984,84 Euro aus, also von einem zu berücksichtigenden Einkommen in Höhe von 29 139,16 Euro.
Sozialgericht sieht im Versorgungswerk eine der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbare Sicherungsform
Der Anwalt legte Widerspruch gegen den Entscheid ein, da das Land zu Unrecht die Beiträge, die er an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte abführen müsse, als RV-Beiträge berücksichtigt hat. Nach Zurückweisung dieses Widerspruchs (Widerspruchsbescheid vom 28.01.2008) hat der Kläger beim Sozialgericht für das Saarland (SG) Klage erhoben. Die Klage wurde mit Urteil vom 14.02.2011 abgewiesen, weil die Pflichtmitgliedschaft in einem Versorgungswerk eine der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbare Sicherungsform darstelle.
Der Kläger ging mit der Begründung, dass Beiträge an das berufsständische Versorgungswerk nicht mit Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbar seien, gegen dieses Urteil in Revision. Rentenversicherungsbeiträge würden während der Elternzeit nicht erhoben, die Beitragspflicht zum Versorgungswerk bleibt jedoch auch während der Elternzeit erhalten. Es findet keine Berücksichtigung von Kinderbetreuungszeiten statt und eine Befreiung von der Beitragspflicht beim berufsständischen Versorgungswerk kann nur auf Antrag erfolgen.
BSG: Beiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk sind mit gesetzlichen Rentenversicherungsbeiträgen nicht vergleichbar
Das Bundessozialgericht entschied, dass die Beiträge des Klägers zu seiner berufsständischen Versorgung bei der Ermittlung des Bemessungseinkommens (§ 2 Abs 1 und 7 BEEG) nicht von den Bruttoeinkünften abzusetzen sind. Im § 2 Abs 7 S 1 BEEG werden nur die aufgrund der Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung genannt und zur Sozialversicherung iS des SGB gehört die berufsständische Versorgung nicht (vgl dazu §§ 4, 23 Abs 2 SGB I, § 1 Abs 1 SGB IV, § 125 SGB VI).
Absetzbar von den Einnahmen aus Erwerbstätigkeit sollen solche Beiträge sein, die bei einem Fortfall des Erwerbseinkommens während der Elterngeldbezugszeit grundsätzlich weiter zu zahlen sind. Dies ist bei Pflichtbeiträgen zu einer berufsständischen Versorgung, im Gegensatz zu gesetzlichen Rentenversicherungsbeiträgen, gegeben. Lediglich ein besonderer Antrag oder eine zusätzliche Vereinbarung kann zu einer Befreiung von der Zahlungspflicht beim Versorgungswerk führen.
Für den Anwalt bedeutet dies, dass sich sein Bemessungseinkommen erhöht. Durch das höhere Bemessungseinkommen steht dem Kläger für die ersten beiden Lebensmonate seiner Tochter Elterngeld in Höhe des Höchstbetrages von 1800 Euro zu (vgl § 2 Abs 1 S 1 BEEG).
Der Anspruch auf höheres Elterngeld für Mitglieder berufsständischer Versorgungswerke gilt aber nur für Geburten bis Jahresende, denn das zum Jahreswechsel neu eintretende Elterngeld-Gesetz berücksichtigt auch Beiträge zu Versorgungswerken.