Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. November 2012 – 6 AZR 339/11

Frage an Bewerber nach eingestellten Ermittlungsverfahren unzulässig

 

Unspezifizierte Frage des Arbeitgebers verstößt gegen Datenschutzrecht.

 

Wahrheitswidrige Beantwortung der Frage, ob Ermittlungsverfahren gegen Bewerber anhängig waren, berechtigt nicht zur Kündigung

 

In einem Bewerbungsverfahren ist die Frage eines Arbeitgebers nach eingestellten Ermittlungsverfahren unzulässig. Unzulässige Fragen, wie Fragen nach Vorstrafen (die die Stelle nicht betreffen) oder auch Ermittlungsverfahren, können Bewerber ohne negative Konsequenzen wahrheitswidrig beantworten. Denn eine solche unspezifizierte Frage des Arbeitgebers verstößt gegen Datenschutzrecht und die Wertentscheidungen des § 53 Bundeszentralregistergesetz (BZRG).

Arbeitgeber dürfen das Arbeitsverhältnis also nicht kündigen, weil der Stellenbewerber in Wahrnehmung seines informationellen Selbstbestimmungsrechts wahrheitswidrig auf die unzulässige Frage nach Ermittlungsverfahren in der Vergangenheit geantwortet hat.

 

Ingenieur verschweigt dem Land Nordrhein-Westfalen bei einer Bewerbung als Lehrer eingestellte Ermittlungsverfahren

 

Der Ingenieur bewarb sich beim Land Nordrhein-Westfalen (NRW) als Hauptschul-Lehrer. Um eingestellt zu werden, sollte er in einem Vordruck erklären, ob er vorbestraft sei. Außerdem sollte er angeben, ob aktuell oder innerhalb der letzten drei Jahre ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen ihn anhängig sei. Der Ingenieur machte wahrheitswidrige Angaben und verschwieg, dass in den letzten Jahren insgesamt fünf Ermittlungsverfahren durchgeführt wurden. Alle Ermittlungsverfahren waren jedoch eingestellt worden.

Nachdem er zum 15.09.2009 eingestellt worden war, überprüfte die Bezirksregierung im Oktober 2009 aufgrund eines anonymen Hinweises die Angaben des Bewerbers und stellte fest, dass mehrere nach §§ 153 ff. Strafprozessordnung (StPO) eingestellte Ermittlungsverfahren in der Vergangenheit vorlagen. Das Land NRW kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos und außerordentlich, hilfsweise für den Fall der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung ordentlich. Außerdem erklärte das Land die Anfechtung des Arbeitsvertrags, weil der Arbeitnehmer in Bezug auf die Ermittlungsverfahren falsche Angaben gemacht hatte.

Der Arbeitnehmer hält die Kündigung für unwirksam. Das Arbeitsgericht Detmold erachtete in seinem Urteil nur die ordentliche Probezeitkündigung für wirksam, die fristlose Kündigung und die Anfechtung jedoch nicht (Urteil vom 28.04.2010, 2 Ca 1577/09). Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hielt in der Berufung auch die fristgerechte Kündigung für unwirksam (LAG Hamm, Urteil vom 10.03.2011, 11 Sa 2266/10). Die Revision des beklagten Landes vor dem Bundesarbeitsgericht blieb ohne Erfolg.

 

BAG: Kündigung unwirksam, da Verstoß gegen die objektive Wertordnung des Grundgesetzes

 

Die unspezifizierte Frage nach Ermittlungsverfahren ist nach den datenschutzrechtlichen Bestimmungen des Landes NRW nur zulässig, wenn eine Einwilligung des Betroffenen vorliegt oder die Frage durch eine Rechtsvorschrift erlaubt ist. Da Informationen zu eingestellten Ermittlungsverfahren in einem Bewerbungsverfahren für Lehrer nicht erforderlich sind, sind sie gemäß § 29 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen auch nicht gestattet.

Das BAG hat in der allein auf die wahrheitswidrige Beantwortung der Frage nach Ermittlungsverfahren gestützten Kündigung einen Verstoß gegen die objektive Wertordnung des Grundgesetzes gesehen. So ist das im Grundgesetz verankerte Recht der informationellen Selbstbestimmung, das ein Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist, durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Die Kündigung war deshalb gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam.

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