Mehrfache Befristung eines Arbeitsvertrags kann ausnahmsweise trotz Vorliegens sachlicher Gründe rechtsmissbräuchlich sein
Eine sehr lange Gesamtdauer oder eine hohe Anzahl aufeinander folgender Befristungen („Kettenbefristung“) können rechtsmissbräuchlich sein.
BAG: Ständiger Vertretungsbedarf des Arbeitgebers schließt Sachgrund der Vertretung nicht aus
Die Befristung eines Arbeitsvertrags ist nach § 14 Abs. 1Satz 1 TzBfG zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund, wie die Vertretung eines anderen Arbeitnehmers, gerechtfertigt ist. Auch eine größere Anzahl der mit einem Arbeitgeber geschlossenen befristeten Verträge oder eine lange Gesamtdauer der Befristung steht laut der Rechtsprechung des Siebten Senats dem Sachgrund der Vertretung nicht entgegen. Entscheidend ist allein, ob bei der letzten Befristungsabrede ein Vertretungsfall vorlag. Ein bei dem Arbeitgeber vorhandener ständiger Vertretungsbedarf schließe den Sachgrund der Vertretung nicht aus.
Der Siebte Senat hatte allerdings Bedenken, ob er aus Gründen des Unionsrechts gehindert ist, an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festzuhalten. Er bat deshalb mit Beschluss vom 17. November 2010 – 7 AZR 443/09 (A) – den EuGH um Beantwortung der Frage, ob es mit § 5 Nr. 1 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 (Rahmenvereinbarung) vereinbar ist, die wiederholte Befristung eines Arbeitsvertrags auch dann auf den im nationalen Recht vorgesehenen Sachgrund der Vertretung zu stützen, wenn bei dem Arbeitgeber ein ständiger Vertretungsbedarf besteht, der ebenso durch unbefristete Einstellungen befriedigt werden könnte.
EuGH: Genaue Prüfung aller mit der Verlängerung der befristeten Verträge verbundenen Umstände
Der EuGH antwortete mit Urteil vom 26. Januar 2012 – C-586/10 – [Kücük], dass ein Arbeitgeber wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückgreifen kann. Denn dies steht weder der Annahme eines sachlichen Grundes im Sinne der Rahmenvereinbarung entgegen, noch folgt daraus das Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne dieser Bestimmung.
Die nationalen staatlichen Stellen müssten aber auch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes alle mit der Verlängerung der befristeten Verträge verbundenen Umstände berücksichtigen. Bei dieser Prüfung könnten sich die Zahl und Dauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden Verträge als relevant erweisen.
Annahme eines Rechtsmissbrauchs unterliegt hohen Anforderungen
Hiervon ausgehend entschied der Siebte Senat, dass an den Grundsätzen der Sachgrundprüfung uneingeschränkt festgehalten werden kann. Allerdings kann unter besonderen Umständen die Befristung eines Arbeitsvertrags trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes wegen rechtsmissbräuchlicher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit unwirksam sein. An einen solchen nur ausnahmsweise anzunehmenden Rechtsmissbrauch sind hohe Anforderungen zu stellen. Es sind dabei alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen.
Sehr lange Dauer und außergewöhnlich hohe Zahl von Befristungen indizieren Rechtsmissbrauch
Ein arbeitsgerichtliches Urteil, mit dem das Landesarbeitsgericht Köln die Befristungskontrollklage einer beim Land Nordrhein-Westfalen beschäftigten Justizangestellten abgewiesen hatte, hob das BAG ausgehend von diesen Grundsätzen auf (Az.: 7 AZR 443/09). Die Klägerin, Bianca Kücük, war beim Amtsgericht Köln aufgrund von insgesamt dreizehn befristeten Arbeitsverträgen von Juli 1996 bis Dezember 2007 beschäftigt. Für die Befristung lag zwar der Sachgrund der Vertretung vor, denn Frau Kücük vertrat Justizangestellte, die sich in Elternzeit oder Sonderurlaub befanden. Dennoch ging das BAG davon aus, dass das beklagte Land Nordrhein-Westfalen mit dreizehn befristeten Verträgen in elf Jahren die an sich eröffnete Möglichkeit der Vertretungsbefristung rechtsmissbräuchlich genutzt hat. Der Siebte Senat verwies den Fall zurück an das LAG Köln, um dem Arbeitgeber die Gelegenheit zu geben, besondere Umstände vorzutragen, die der Annahme des an sich indizierten Rechtsmissbrauchs entgegenstehen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Juli 2012 – 7 AZR 443/09 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 15. Mai 2009 – 4 Sa 877/08 –
Vier befristete Verträge in sieben Jahren stellen keinen Rechtsmissbrauch dar
Eine weitere Befristungskontrollklage einer von März 2002 bis November 2009 aufgrund von vier befristeten Arbeitsverträgen bei einem Einzelhandelsunternehmen beschäftigten Klägerin war erfolglos. Da ein sachlicher Grund für die letzte Befristung (eine Elternzeitvertretung) vorlag und weder die Gesamtdauer von sieben Jahren und neun Monaten sowie die Anzahl von vier Befristungen einen Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs lieferte, wurde die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Juli 2012 – 7 AZR 783/10 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. August 2010 – 5 Sa 196/10 –